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Startups und Umweltbewusstsein – Zukunftsperspektive oder Marketingfloskel

Von Neocosmo Next • Tristan Stettin

Startups als Unternehmensform haben schon lange den Weg aus Übersee nach Europa gefunden. Viele dieser Unternehmen sehen sich selbst als Innovator für zukünftige Entwicklungen, sei es bei den hergestellten Produkten, den firmeninternen Abläufen oder der Neutralität gegenüber des Klimas und der Umwelt. Die Zielgruppen und Kundenstämme dieser Unternehmen, die oft aus Young Professionals und alternativen Anhängern der Generation Y und der heranwachenden Generation Z bestehen, machen aus dem Gedanken an die Umwelt einen Marketingmotor, der die Hersteller im Vergleich zu herkömmtlichen Unternehmen in die bessere marktwirtschaftliche Position versetzt. Umweltbewusst zu sein ist hip und dient aktuell als Abgrenzungsmerkmal zur Elterngeneration, sowie identitätsstiftender Basis junger Menschen. Was Politik und Industrie Jahrzehnte lang verschlafen haben, wird selbst in die Hand genommen. Ist das immer gut?

Politischer Verdruss und Unternehmergeist zum Wohle der Umwelt

Eine Studie des Deutschen Startup Monitor (DSM) hat unter 1500 befragten Gründern und deren leitenden Angestellten festgestellt, dass etwa ein Drittel angegeben hat, Umweltschutz sei essenzieller Inhalt ihres unternehmerischen Wirkens. Teile der Studie legten auch nahe, dass unter den Befragten klassische Parteien wie CDU und SPD in ihrer Wahlentscheidung nurnoch eine Randnotiz seien. Der verlorengegangene Glaube in die große Koalition basiert auf dem ewigen Kampf junger Unternehmer endlich wirklich Teil der wirtschaftlichen Agenda zu werden. Neben Kapitalbeschaffung und Abbau unnötiger Bürokratie gibt hierbei auch jeder vierte an, die Regierung fördere zu wenig nachhaltige und umweltbewusste Unternehmensideen.

Ein real umgesetztes Beispiel für diesen Spirit zeigt die Berliner Unternehmer-Initiative "Entrepreneur's Pledge". Deren Unterzeichner verpflichten sich dazu, ein soziales und nachhaltiges Unternehmen zu gründen und ihre Gewinne zur Hälfte in den sozialen oder ökologischen Sektor zu reinvestieren. Gegründet wurde das Ganze von Waldemar Zeiler und Philipp Siefer, Founder des Startups "Einhorn". Inzwischen zählen einige sehr prägende Personen der Gründerszene zu den Unterzeichnern, wie etwa Rolf Schrömgens, Gründer von Trivago, oder Kolja Hebenstreit von Delivery Hero.

 

The good, the bad and the ugly

Natürlich führt der Gedanke an Umsatz und Verwertung auch hier oft zu Unternehmen, die Ihrem Produkt einen grünen Touch verleihen, allerdings in Wahrheit schlichtweg gesundheitsschädlichen Müll produzieren. Der Befragung des DSM zufolge, denkt in etwa jeder zweite Befragte aus ökologischen, sowie sozialen Problemen Marktchancen ziehen zu können. Ein Beispiel wie sehr diese Gedanken offenbar den wirklichen Glauben an Wandel überschatten können, zeigte uns im Juli 2019 eine Untersuchung des Stuttgarter Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes. Durch den öffentlichen Diskurs um Einwegkaffeebecher witterten einige Unternehmer scheinbar big money. Eine Alternative in Form eines Bambusbechers, der sowohl gesundheitsneutral, sowie im Notfall recyclebar sein sollte, war eine verheißungsvolle Innovation. Sogar so verheißungsvoll, dass ohne jegliche Kontrolle oder Untersuchungen der Markt geflutet wurde und der Hype scheinbar nicht mehr aufzuhalten war. Nur hat die Untersuchung ergeben, dass über die Hälfte dieser Art von Becher gerade mal aus 30% Bambus besteht. Da Bambus in seiner reinen Form ungeeignet ist, um damit Getränke zu transportieren und auch die Haltbarkeit sich nur sehr wenig unterscheidet von Pappe, wurde dem Produkt Kunstharz zugesetzt. Exkurs: Das benutzte Kunstharz besteht aus Melanin und Formaldehyd. Formaldehyd ist in der EU seit 2015 als "wahrscheinlich karzinogen (krebserregend) beim Menschen" eingestuft. Die WHO änderte bereits 2004 den Status von Formaldehyd von "Verdacht auf krebserregende Wirkung" auf "krebserregend für den Menschen". Bewiesen ist weiterhin, dass eine chronische Aussetzung selbst kleiner Dosen für den Menschen zu Gedächtnisstörungen, Konzetrationsmangel oder Schlaflosigkeit führen kann.

Auf diese Untersuchungen reagierten zwei der Hersteller mit der Aussage, Formaldehyd könne nur aus ihren Bechern ausgelöst werden, wenn das eingefüllte Getränk eine Temperatur von 70 Grad Celsius überschreite. Wer ist auch so verrückt und füllt heiße Getränke in einen Kaffeemehrwegbecher. Die Recyclebarkeit der Becher wurde von oben genannter Untersuchung nur als ungenügend eingestuft. Durch die Kunstharzverbindungen, sowie Polylactat (Plastik aus Maisstärke) kann der Becher etwa in Kompostieranlagen nicht vollständig zersetzt werden.

 

 

Die Vorzeigeunternehmen

Wie es hingegen anders geht, zeigt uns beispielsweise Christian Kroll, Gründer von Ecosia. Ecosia ist eine Suchmaschine, die ihre Werbeeinnahmen dazu nutzt, weltweite Aufforstungsprojekte zu unterstützen. Wie die öffentlichen Geschäftszahlen der Firma zeigen, blieben im August von 700.000 Euro Umsatz ca die Hälfte als Überschuss zurück, der zu etwa 85% in die Aufforstungsprojekte weitergeleitet wurde.

Ein weiteres Beispiel für ökologisch neutral produzierte Produkte ist die Firma "Fairphone". Durch die modulare Entwicklung ihrer Smartphones verpflichtet sie sich der Green IT Initiative. Diese Initiative versucht Bewusstsein zu schaffen für den Rohstoffverbrauch im IT Sektor, sowie der Entgegenwirkung der Wegwerfgesellschaft durch die Produktion von Geräten, die repariert werden , oder im Zweifel modular erweitert werden können. Greenpeace hat 2018 eine Studie vorgestellt, die die weltweiten großen Player nach ihrer Nachhaltigkeit wertet.

Greenpeace

Das eigene Bewusstsein

Wie viel jeder selbst als Endkonsument aus solchen Studien zieht und umsetzt ist natürlich motivationsabhängig. Am Ende kann es so viele Möglichkeiten geben, doch unser Konsumverhalten wird langfristig darüber entscheiden, wie sich die Industrie weiter entwickeln wird. Solange wir weiter über Amazon und Co Dinge bestellen, die wir auch im Umkreis von 500 Metern um unsere Wohnung erstehen könnten, werden sich große Player niemals dafür einsetzen, etwas zu ändern. Never touch a running system.